Das Stadtarchiv Heidelberg
Archivieren und Sammeln, Ordnen, Erschließen und Bewahren, Zugänglichmachen, Beraten und Forschen. Die Begriffe umreißen schlagwortartig die vielschichtigen und interessanten Aufgabenfelder des Stadtarchivs. Vom Staub der Geschichte befreit stehen die reichen Bestände des Stadtarchivs jedermann offen – dem historisch interessierten Laien ebenso wie dem Wissenschaftler.
Rechtliche Grundlagen und Aufgaben
Gemäß § 7 des Gesetzes über die Pflege und Nutzung von Archivgut (in der aktuellen Fassung vom 12. März 1990) sind die Gemeinden verpflichtet, Archive einzurichten. Für die Kommunen gelten die Schutz- und Nutzungsvorschriften dieses baden-württembergischen Landesarchivgesetzes unter Berücksichtigung der sich aus der Selbstverwaltung ergebenden Besonderheiten. § 7 Abs. 3 verpflichtet die Gemeinden, eine Archivordnung als Satzung zu erlassen. Danach sind die Archivbestände nach Ablauf geltender Sperrfristen für jedermann zugänglich, der ein berechtigtes Interesse glaubhaft macht.
Archivgut darf nicht vor Ablauf von 30 Jahren seit Entstehung der Unterlagen genutzt werden. Unterlag Archivgut Rechtsvorschriften über Geheimhaltung, darf es frühestens 60 Jahre nach Entstehung der Unterlagen genutzt werden. Bezieht es sich nach seiner Zweckbestimmung auf eine natürliche Person, so darf es frühestens 10 Jahre nach deren Tod genutzt werden; kann der Todestag nicht oder nur mit unvertretbarem Aufwand festgestellt werden, endet die Sperrfrist 90 Jahre nach der Geburt. Neben bestehenden Rechtsvorschriften ist das Recht, Archivgut nach Ablauf der Sperrfristen zu nutzen, von den Vereinbarungen mit derzeitigen oder früheren Eigentümern des Archivguts abzuleiten.
Zu den Aufgaben des Stadtarchivs gehört es, alle in der Stadtverwaltung angefallenen Unterlagen (Schriftstücke, Akten, Karteien, Pläne, Bild, Film- und Tonmaterialien sowie sonstige Informationsträger und maschinenlesbar auf diesen gespeicherte Informationen und Programme) von bleibendem Wert mit den entsprechenden Amtsdrucksachen zu verwahren, zu erhalten, zu erschließen sowie allgemein nutzbar zu machen. Bleibenden Wert haben Unterlagen, denen historischer Wert zukommt oder die aufgrund von Rechts- und Verwaltungsvorschriften zur Sicherung berechtigter Belange der Bürgerinnen und Bürger oder zur Bereitstellung von Informationen für die Stadtverwaltung dauernd aufzubewahren sind.
Das Stadtarchiv sammelt außerdem die für die Geschichte und Gegenwart der Stadt bedeutsamen außerstädtischen Dokumentationsunterlagen (z.B. Plakate, Flugschriften, Zeitungen, Firmenschriften, Handschriften, Chroniken, private Aufzeichnungen, Nachlässe und Bildgut) und unterhält eine wissenschaftliche Archivbibliothek. Auf diese Weise gelingt es, die städtischen Quellen wesentlich zu bereichern und deren Aussagekraft beträchtlich zu erweitern.
Angestrebt ist damit übergeordnet eine aktive Überlieferungsbildung, die unterschiedlichste Aspekte der Zeitgeschichte angemessen berücksichtigt, möglichst repräsentativ die auf kommunaler Ebene wirksam werdenden gesellschaftlichen Kräfte und Prozesse dokumentiert -kurzum aus den Archivbeständen die historische Entwicklung der Kommune wie ihrer überaus facettenreichen politischen, wirtschaftlichen, kulturellen, sozialen wie etwa auch sportlichen Aktivitäten nachvollziehbar, ja lebendig werden läßt.
Aufgrund der verwahrten Quellen kommt dem Stadtarchiv eine besondere Rolle und Aufgabe im Rahmen der lokal wie regionalgeschichtlichen Forschung zu. So steht das Stadtarchiv im Dienst der Bürgerinnen und Bürger, des historisch interessierten Laien und des Heimatkundlers gleichermaßen wie der wissenschaftlichen Forschung. Dazu gehören angefangen bei der Fertigung von sog. „Geburtstagszeitungen“ aus dem umfangreichen mikroverfilmten Bestand Heidelberger Zeitungen, die Vorlage von Archivalien, die schriftliche wie mündliche Auskunftserteilung aus den Quellenbeständen, die archivarische Beratung und Betreuung bei unterschiedlichsten Benutzungsvorhaben über Archivführungen, die Wahrnehmung von Lehraufträgen bis hin zu eigenen Ausstellungen und Vorträgen. Greifbarer und doch konsequenter Ausdruck der ansonsten überwiegend eher unspektakulär geleisteten Förderung der Erforschung und Kenntnis der Stadt und Heimatgeschichte sind die vom Stadtarchiv herausgegebenen Veröffentlichungsreihen, die wissenschaftlichen Anspruch mit Allgemeinverständlichkeit zu verbinden, damit das historische Bewußtsein zu wecken suchen (…).
Geschichte und Bestände des Stadtarchivs
Die ältesten Quellen reichen zurück bis ins Jahr 896. Dabei handelt es sich um eine Originalurkunde Kaiser Arnulfs, die mit weiteren etwa 1.500 Originalurkunden vorwiegend fremder Provenienzen als Sammlungsbestand und durch Schenkungen erst spät ihren Weg ins Stadtarchiv fand. Das eigentliche ältere Archivgut Heidelbergs ist indessen durch Brandkatastrophen des Mittelalters und die Zerstörungen im Zuge des Orléansschen Krieges fast vollständig verloren gegangen. So stammen die Archivbestände im Wesentlichen und mit Ausnahme der bis 1598 zurückreichenden Archivalien der 1743 der Stadt unterstellten Schloßberggemeinde aus der Zeit nach 1693.
Neben den 1698 einsetzenden Ratsprotokollen bilden v.a. die Stadtrechnungen samt Beilagen (ab 1691) und die Grundbücher (1691-1901) den umfangreichen Bestand der sog. Amtsbücher. Dazu gehören u.a. auch das für die Stadttopographie und Bevölkerungsgeschichte wichtige Lagerbuch der 1770er Jahre mit den dazugehörigen Plänen, die Bürgerbücher (ab 1751), die Feuer und Versicherungskataster (19. Jahrhundert) sowie die Zins und Güterregister, Häuserverzeichnisse, Protokolle etc.
Die Verwaltungsakten sind ebenfalls ab 1700 überliefert. Zu unterscheiden sind die beiden älteren großen Aktenbestände (Signaturen UA und AA) und die Akten der eingemeindeten Vororte (Signatur VA) sowie die aus jüngeren Ablieferungen einzelner Fachämter gebildeten Bestände.
Ergänzt werden Bestände städtischer Provenienz durch eine Reihe von Nachlässen (z.B. Athenstaedt, Liedvogel, von Graimberg, Münzer, Munke-Ritzhaupt, Sauer, Stoeß, Traumann, Vierneisel, Volz) und Deposita (Z.B. Bach-Verein, Verband der Heimkehrer – Kreisverband Heidelberg).
Eine für vielfältige Fragestellungen ergiebige Quelle sind die Heidelberger Adreßbücher, die für 1808 bzw. ab 1839 lückenlos vorliegen. Hinzuweisen ist ferner handschriftlich sowie von 1893-1914 gedruckt vorliegenden Chroniken, deren Tradition eine seit 1968 vom Stadtarchiv erstellte Jahreschronik fortsetzt.
Überdies verfügt das Stadtarchiv über einen umfangreichen bis auf das Jahr 1808 zurückreichenden Zeitungsbestand. Die Heidelberger Zeitungsüberlieferung darf als nahezu komplett bezeichnet werden, da mittlerweile die im Original vorhandenen wie auch die bislang noch fehlenden Zeitungsausgaben auf Mikrofilm vorliegen. Dank dieser konsequent durchgeführten Sicherungs- und Ersatzverfilmung sind die Zeitungen via Lesegerät und Readerprinter leicht zugänglich bzw. – ohne konservatorische Einschränkungen – sogar zu vervielfältigen.
Eine wichtige Ergänzung des dem Archiv provenienzmäßig und kontinuierlich aus der eigenen Stadtverwaltung zukommenden Schriftgutes stellen die sog. archivischen Sammlungen dar. In einer Siegelsammlung, die z.T. auch die entsprechenden Typare umfaßt, werden 140 Siegel aus dem 14. bis 18. Jahrhundert verwahrt. Darunter sind Siegel der Kurfürsten (z.B. Kg. Ruprecht 1.), der Raugrafen von Degenfeld ebenso vertreten wie die Siegel der Stadt Heidelberg und ihrer Vororte, der Universität Heidelberg sowie anderer Städte und Gemeinden.
In der bestehenden Hand- und Druckschriftensammlung sind etwa 750 Einzelstücke des 15. bis 20. Jahrhunderts, die sich auf Heidelberg und seine Geschichte beziehen, zusammengefaßt. Es handelt sich dabei hauptsächlich um Druckschriften, Programme, Manuskripte sowie Einzeldokumente verschiedenster Art. Hervorzuheben sind ferner die zahlreichen kurfürstlichen und großherzoglichen Verordnungen, Flugblätter zur badischen Revolution 1848/49, die Verordnungen der amerikanischen Militärregierung, Programme zu Musikveranstaltungen, Ehrenbürgerbriefe.
Eine Autographensammlung mit 250 Nummern enthält Einzelblätter und Briefe bedeutender Persönlichkeiten insbesondere aus den Bereichen Politik, Universität und Kunst. Innerhalb dieser Sammlung verdient das Autographenalbum des Mannheimer Kaufmanns Eugen Grieser mit ca. 3.000 Einzelstücken (1.200 Autographen, 1.000 Bildpostkarten) mit Schwerpunkt auf Musik (u.a. Franz Liszt, Hector Berlioz, Guiseppe Verdi) und Politik (z.B. Charles Maurice de Talleyrand) besondere Beachtung.
Daneben gibt es für den Zeitraum des 19. und 20. Jahrhunderts die Plan und Kartensammlungen, denen auch Architekturzeichnungen beigeordnet sind. Den Schwerpunkt der Sammlungen (mit rund 1.500 Nummern) nehmen die Themenkomplexe: Flur und Waldkarten, Stadtpläne, Stadtentwicklungspläne sowie Pläne zu verschiedenen städtischen Gebäuden ein.
Eine Plakatsammlung wird seit 1975 geführt. Diese umfaßt inzwischen ca. 1.200 Plakate zum kulturellen und politischen Geschehen. Als ausgesprochene Spezialsammlung existiert eine Theatersammlung. Sie besteht im Wesentlichen aus der ehemaligen Theaterbibliothek, ergänzt um zahlreiche, z.T. sehr seltene Einzelausgaben des 19. und frühen 20. Jahrhunderts. Daneben werden Theaterzeitschriften und musikgeschichtliche Literatur, Theaterzettel, Unterlagen zu den Heidelberger Festspielen, Gehaltszettel u.a.m. darin verwahrt.
Gute Dienste bei wissenschaftlichen wie familiengeschichtlichen Forschungen leisten vorzugsweise die Meldekarteien, die dem Stadtarchiv für die Jahre 1905-1986 vorliegen.
Als Einstiegshilfe sowie mitunter bereits als Dokumentation mit zukommendem Quellenwert sind die sog. Zeitgeschichtlichen Sammlungen anzusprechen; sie sind in zwei Abteilungen organisiert, die alphabetisch nach Personen bzw. nach Stichworten untergliedert sind (Signatur ZGS 1 bzw. ZGS 2) und jeweils über 1.000 Einheiten umfassen. Sie sind das Ergebnis der systematischen und kontinuierlichen Auswertung Heidelberger Periodika (v.a. Lokalzeitungen).
Erst in jüngerer Zeit gebildet wurde der Bestand Kleine Erwerbungen (Signatur KLE), der i.d.R. durch Kauf oder als Geschenk zugewachsene kleinere oder Einzelstücke aufnimmt, die ansonsten nicht eindeutig einer anderen Sammlung zuzuweisen sind.
Die Bildsammlung mit Fotografien ab dem späten 19. Jahrhundert ist die umfangreichste Sammlung. Sie gliedert sich in das Bildarchiv mit ca. 30.000 Bildträgern, die nach Sachbetreffen zur Stadttopographie, Straßen und Personennamen geordnet sind, und das Bildarchiv Heidelberger Tageblatt, das mit ca. 20.000 Bildträgern eine dichte Überlieferung für den Zeitraum von 1950 bis 1982 darstellt. Dias und Postkarten runden die visuellen Sammlungen zum Heidelberger Stadtbild und den Vororten ab. Außerdem verwahrt das Stadtarchiv eine Reihe audiovisueller Medien.
Ein wichtiger Bestand des Stadtarchivs ist seine wissenschaftliche Archivbibliothek nicht zuletzt aufgrund der darin vereinigten z.T. sehr seltenen Bücher. Sie setzt sich zusammen aus der Archivbibliothek (Präsenz, kein Ausleihbestand!) mit ca. 25.000 Bänden, der Bibliothek des Kurfürst-Friedrich-Gymnasiums (ca. 10.000 Bände) und der Amtsbücherei. Damit stellt sie die bedeutendste Spezialbibliothek zur Geschichte und Gegenwart Heidelbergs dar. Schwerpunkte des Bestands sind vor allem Bücher und Druckschriften zur Geschichte Heidelbergs, der Kurpfalz und Badens. Neben 15 Inkunabeln enthält die Archivbibliothek einen wertvollen Altbestand von nahezu 1.000 Titeln aus der Zeit zwischen 1500 und 1800. Die Bedeutung,: des Gymnasialbuchbestands besteht in den vom badischen Staat im Zuge; der Säkularisierung des Karmelitenklosters und des ehemaligen Jesuitenkollegs zugewiesenen Büchern aus dem 16. bis 18. Jahrhundert. Die Amtsbücherei enthält vorwiegend juristische Literatur, vor allem Gesetz und Verordnungsblätter aus dem 19. und 20. Jahrhundert.
Die Geschichte des Stadtarchivs und seiner Bestände war bis in die jüngste Vergangenheit nicht frei von Rückschlägen. Anteil daran hatten nicht allein Brand und Zerstörungen, sondern auch wiederholte Umlagerungen. So waren die Bestände zeitweilig u.a. im Palais Graimberg und im Kurpfälzischen Museum eingelagert. Ein ausgebildeter Facharchivar wurde erstmals 1982 eingestellt. Und sogar erst ins Jahr 1988 fiel die Verselbständigung des zuvor dem Amt für Öffentlichkeitsarbeit angehörenden Stadtarchivs als eigenständiges Fachamt.
Mit insgesamt acht Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern (darunter einige Teilzeitkräfte) gehört das Stadtarchiv zu den kleineren Ämtern der Stadtverwaltung. (…)
aus: Günther Berger, Peter Blum und Diana Weber, Das Stadtarchiv Heidelberg, in: Heidelberg. Jahrbuch zur Geschichte der Stadt herausgegeben vom Heidelberger Geschichtsverein Nr. 1/1996, S. 219ff.