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Das Lachen der Narren

Aus einem Brief Victor Hugos vom Jahre 1840

Seltsames Geschick. Dieser Wunderpalast, der Schauplatz von Festen und Kriegen, der Sitz der Pfalzgrafen bei Rhein und Herzöge von Bayern, böhmischer Könige and deutscher Kaiser, ist heute nur noch die Hülle eines Fasses.

Die unterirdischen Gewölbe von Tournus bilden eine Kirche, die von Saint-Denis eine Gruft, die von Heidelberg einen Keller. Wenn man die grandiosen Trümmer durchschritten hat, die zerstörten Waffensäle, die Paläste voller Moos, Strauchwerk, Schatten und Vergessen, diese Türme, die geschwankt haben wie betrunkene Menschen und die gestürzt sind wie Tote, diese weiten Höfe, wo vor kaum zweihundert Jahren der Lanzknecht mit angezogener Lanze auf der Brüstung stand, dieses ganze große Bauwerk und diese ganze große Geschichte, kommt ein Mann mit einer Laterne auf euch zu, öffnet eine niedere Tür und zeigt auf eine düstere Treppe. Man steigt hinab; das Gewölbe ist dunkel. Durch die schmalen Öffnungen in den Wänden dringt geheimnisvolles Dämmerlicht. Man erwartet die Gräber der Pfalzgrafen und findet ein großes Faß, Phantasiegebilde eines Pantagruel, Thron eines riesenhaften Ramponneau. Wenn man dieses eigenartige Ding sieht, glaubt man, im Dunkel dieser Ruine das ungeheure Gelächter des Gargantua zu hören.

Das Große Faß im Heidelberger Schloß, das ist bei Homer einquartierter Rabelais,

Das Große Faß, auf dem Bauch liegend, in dem weiten Keller, der es in seinen Schutz genommen hat, bietet den Anblick eines Schiffes im Schütze des Hafens, in dem es Zuflucht gesucht hat. Es hat einen Durchmesser von vierundzwanzig und eine Länge von dreiunddreißig Fuß. An seiner Vorderseite trägt es ein Rokokowappen mit den Initialen des Kurfürsten Karl Theodor. Zwei zweistöckige Treppen schlängeln sich herum und steigen bis zu einer Plattform an, die auf seinen Rücken gesetzt ist. Es faßt zweihundertsechsunddreißig Fuder, und jedes Fuder enthält zwölfhundert Doppelflaschen. Also sind 570 400 gewöhnliche Flaschen in dem Großen Faß. Dieses Riesenfaß war dreimal voll von Rheinwein. Als es das erstemal gefüllt war, tanzte der Kurfürst mit seinem Hof auf der Plattform, die es krönt. Seit 1770 ist es leer.

Der Wein wurde besser darin.

Übrigens ist dieses Faß nicht das alte Große Faß zu Heidelberg, das mit so kuriosen Schnitzereien versehen war und das der Kurfürst Johann Kasimir hat bauen lassen, um irgendeine Versöhnung zwischen Lutheranern und Calvinisten festlich zu begehen. Karl Theodor hat es etwa 1750 abtragen lassen, um das jetzige zu bauen, das größer, aber weniger reich verziert ist

Außer dem Großen Faß enthielten die Keller des Pfalzgrafenschlosses, deren Tiefen sich nach allen Seiten wie Höhlen öffnen, die sogenannten kleinen Fässer. Diese kleinen Fässer waren nur ein Stockwerk hoch. Es gab ihrer zehn oder zwölf. Ein einziges ist übriggeblieben, man zeigte es mir in seiner Zelle in einiger Entfernung vom Großen Faß. Es faßt nur ein Fünftel des Großen Fasses. Ein sehr schönes Fugenwerk von eichernen Dauben, zur Zeit Ludwigs XIII. hergestellt, von den Kurfürsten von der Pfalz mit dem bayerischen Wappen und drei Löwenköpfen auf jeder Seite, von französischen Soldaten mit einigen Axthieben verziert. Das war im Jahre 1799. Das Faß war mit Rheinwein gefüllt. Unsere Soldaten wollten es einschlagen. Das Faß hielt stand. Sie hatten die Mauern der Burg gebrochen, in das Faß konnten sie keine Bresche schlagen.

Dieses kleine Faß ist seit 1800 leer.

Wenn man in dem Schatten des großen Fasses dahingeht, bemerkt man plötzlich hinter den stützenden Bohlen eine eigenartige Gestalt aus Holz, auf die eine Öffnung in der Mauer einen fahlen Lichtschimmer fallen  äßt. Man könnte sagen, es ist ein kleiner, lustiger Alter, grotesk aufgeputzt. Neben ihm hängt an einem Nagel eine grob ausgeführte Uhr. Eine Schnur schaut unten an der Uhr heraus. Man zieht, die  Uhr öffnet sich plötzlich und läßt einen Fuchsschwanz herausschnellen, der einem ins Gesicht schlägt.

Der kleine Alte ist ein Hofnarr, die Uhr ist sein Narrenstreich.

Das ist das einzige, was im Schloß zu Heidelberg noch Leben zeigt und sich bewegt: der Schabernack eines Hofnarren. Da droben in den Trümmern hat Karl der Große kein Szepter, Friedrich der Siegreiche keinen Turm, der König von Böhmen keinen Arm, Friedrich II. keinen Kopf mehr; der Reichsapfel Friedrichs V. wurde ihm von einer Kugel in der Hand zerschlagen. Alles ist gestürzt, alles ist dahin, alles ist ausgelöscht; der Narr lebt. Aufrecht steht er, atmet und sagt: „Schaut hier, ich bin’s!“ Er trägt einen blauen Rock, eine ungewöhnliche Weste, eine Perücke, halb grün, halb rot. Er betrachtet euch, er hält euch fest, er zieht euch am Arm, er macht seinen plumpen, einfältigen Anschlag auf euch und lacht euch ins Gesicht. Nach meinem Empfinden sind nicht diese toten Fürsten und Könige das Unheimlichste und Schmerzlichste in dieser Schloßruine zu Heidelberg, es ist der lebende Narr.

Er war der Hofnarr des Pfalzgrafen Karl Philipp; Perkeo war sein Name. Er maß drei Fuß sechs Zoll, wie sein Standbild, unter dem sein Name steht. Täglich trank er fünfzehn doppelte Flaschen Rheinwein. Darin lag seine Stärke. Er brachte um 1710 etwa den Kurfürsten von Bayern und den Kaiser von Deutschland, diese Schatten, die damals hier vorüberzogen, viel zum Lachen.

Eines Tages, als mehrere fremde Fürsten beim Pfalzgrafen waren, maß man Perkeo an einem jener „langen Kerls“ Friedrich Wilhelms L, Königs von Preußen, die in ihren Stiefeln mit hohen Absätzen und den hohen Helmen die Stufen der Paläste rückwärts hinuntergehen mußten. Der Narr reichte kaum über den Stiefel der Grenadiere. Das rief ein großes Gelächter hervor“, berichtet ein zeitgenössischer Erzähler. Arme Fürsten einer altersschwachen Zeit, die sich mit Zwergen und Riesen befaßten und die Menschen darüber vergaßen! Wenn Perkeo seine fünfzehn Flaschen nicht getrunken hatte, peitschte man ihn aus.

Im Grunde lagen in der erzwungenen Heiterkeit dieses Unglücklichen notwendigerweise Sarkasmus und Verachtung. Die Fürsten  merkten das in ihrem Taumel nicht. Die glänzenden Strahlen des kurfürstlichen Hofes überdeckten den aufflammenden Haß, der bisweilen dieses Gesicht erfüllte. Aber heute, im Schatten der Ruinen, kommt es wieder zum Vorschein. Es läßt deutlich den geheimen Gedanken des Narren lesen. Der Tod, der über dieses Lachen hingegangen ist, hat ihm das Possenhafte genommen und nur den feinen Spott gelassen, Es scheint, daß das Standbild Perkeos sich über das Karls des Großen lustig macht.

Man darf nicht noch einmal zurückgehen, um Perkeo anzusehen. Das erstemal stimmt er traurig, das zweitemal jagt er Schrecken ein. Es gibt nichts Unheimlicheres als das unbewegliche Lachen. In diesem verlassenen Palast, in der Nähe des leeren Fasses, denkt man an diesen armen Narren, der von seinen Herren geschlagen wurde, wenn er nicht betrunken war, und diese abscheulich heitere Maske erregt Furcht. Es ist nicht mehr das Lachen eines Narren, der sich lustig  macht, es ist das Grinsen eines Dämons, der sich rächt.

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Updated on 12. Juni 2024